Es war ein Land

Agnes Miegel

 

Es war ein Land...

O kalt weht der Wind über leeres Land,

O leichter weht Asche als Staub und Sand!

Und die Nessel wächst hoch an geborstner Wand,

Aber höher die Distel am Ackerrand!

Es war ein Land, - wo bliebst Du, Zeit?

Da wogte der Roggen wie See so weit,

Da klang aus den Erlen der Sprosser Singen

Wenn Herde und Fohlen zur Tränke gingen,

Hof auf, Hof ab, wie ein Herz so sacht,

Klang das Klopfen der Sensen in heller Nacht,

Und Heukahn an Heukahn lag still auf dem Strom

Und geborgen schlief Stadt und Ordensdom, -

In der hellen Nacht, - der Johannisnacht!

Es war ein Land, - im Abendbrand

Garbe an Garbe im Felde stand.

Hügel auf, Hügel ab, bis zum Hünengrab

Standen die Hocken, brotduftend und hoch,

Und drüber der Storch seine Kreise zog.

So blau war die See, so weiß der Strand

Und mohnrot der Mond am Waldesrand

In der warmen Nacht, - der Erntenacht!

 



 

Es war ein Land, - der Nebel zog

wie Spinnweb, das um den Wacholder flog,

Die Birken leuchteten weiß und golden,

und korallen die schweren Quitschendolden,

Die Eicheln knirschten bei Deinem Gehn

In den harten Furchen der Alleen.

Ein Stern mir blinkte, fern und allein,

Und Du hörtest im Forst die Hirsche schrein

In der kalten Nacht, - der Septembernacht!

Es war ein Land, - der Ostwind pfiff,

Da lag es still wie im Eis das Schiff,

Wie Daunen deckte der Schnee die Saat

Und deckte des Elchs verschwiegenen Pfad.

Grau fror die See an vereister Buhne

Und im Haff kam Fischer und Fisch zur Wuhne.

Unter warmem Dach aus Stroh und Ried

Klappte der Webstuhl zu altem Lied:

‘Wi beid’, wi sönn noch jong on stark,

wie nähr'n ons möt eigne Hände, -“

 

Es war ein Land, - wir liebten dies Land, -

Aber Grauen sank drüber wie Dünensand.

Verweht wie im Bruch des Elches Spur

Ist die Fährte von Mensch und Kreatur, -

Sie erstarrten im Schnee, sie verglühten im Brand,

Sie verdarben im Elend in Feindesland,

Sie liegen tief auf der Ostsee Grund,

Flut wäscht ihr Gebein in Bucht und Sund,

Sie schlafen in Jütlands sandigem Schoß, -

Und wir letzten treiben heimatlos,

Tang nach dem Sturm, Herbstlaub im Wind, -

Vater, Du weißt, wie einsam wir sind!

Nie zu klagen war unsre Art,

Du gabst und Du nahmst, - doch Dein Joch drückt hart!

Vergib, wenn das Herz, das sich Dir ergibt,

Nicht vergißt, was zu sehr es geliebt.