Eine Pilgerreise auf dem Camino Francés

mit Wohnmobil, Roller und Wanderstock



Zweiter Teil: Pilgerwanderung auf dem Camino francés
von Sarrià nach Santiago de Compostela

 


Dienstag, 17.07.2007

Yo camino (ich pilgere)! Heute Morgen beginnt  endlich unsere Pilgerwanderung nach Santiago. Das Namensfest des Heiligen Fredericus wird heute gefeiert. Unser Junge hat Namenstag. Der Tag beginnt folgerichtig mit einem herrlichen Sonnenaufgang.

Am gestrigen Abend haben wir schon die Rucksäcke gepackt, damit wir heute früh zügig loswandern können. Kurz vor 9 stehen wir dann vor der – wie erwartet – verschlossenen Klosterpforte des Augustinerklosters La Madalena. Einen Versuch war es immerhin wert. Es hätte ja sein können, dass das Kirchenportal doch schon geöffnet gewesen wäre.

Gegenüber dem Augustinerkloster La Magdalena finden wir das Zeichen des Caminos, das uns von nun an auf Schritt und Tritt begleiten wird, an einer Mauer. Es weist uns den Weg in einen schmalen Pfad links neben einem Friedhof. Unsere erste Pilgerwanderung beginnt also hier.

Wegbeschreibung Wanderkarte 

Wir gelangen bald an die romanische Brücke Puente Aspera über den Rio Celeiro, die natürlich fotografiert werden muss. Vor der Brücke passieren wir einige Arbeiter, die rechts und links des Weges das Unkraut und Gebüsch beschneiden. Darüber machen wir uns aber nach dem Überqueren der Brücke keine weiteren Gedanken….

Auf der anderen Brückenseite scheint mir das Fotografieren noch interessanter. Also trete ich links vom Weg ins Gebüsch - doch da ist gar keins, mein Schritt zur Seite geht ins Leere, ja, ins Bodenlose. Während ich die Böschung kopfüber Richtung Fluss hinabstürze, denke ich nur: O Gott, der Fotoapparat! - und halte ihn krampfhaft hoch. Irgendwie, fast ist es ein Wunder, hält das – wie ich später feststelle, kurz vorher abgeschnittene, lose Grünzeug, das sich in Brombeerbüschen der Uferböschung verfängt, meinen Sturz ins Wasser auf. Mit dem Kopf nach unten bleibe ich in der steilen Böschung hängen. Günther stürzt herbei, reicht mir seinen Wanderstock, doch meine rechte Hand ist verstaucht, und ich kann nicht so fest zupacken, dass ich mich hochziehen könnte. Immerhin kann ich mich am Stock festhalten, bis Günther mich fassen  und zu sich hochhiefen kann.

Mit nassen Haaren und leicht verdreckt stehe ich dann auf dem Camino und kontrolliere als erstes, ob keiner meinen Abgang gesehen hat und meine Kamera noch ganz ist. Zum Glück tut sie’s noch - und keiner war in der Nähe. Dann erst merke ich, wie weh meine Hand tut, und dass ich an Armen und Beinen eine ganze Reihe Schürfwunden habe. Die Kletten in den Haaren werden liebevoll von meinem erleichterten Liebsten entfernt. Er hatte mich schon „in de Sod“ gesehen.

Wir hatten Glück, die Wanderung kann weitergehen. Nach einigen Metern kommen wir an einem Verkehrschild vorüber, das wie die meisten an diesem Weg mit Parolen u.a. beschmiert ist. Bisher habe ich diesen Graffities keine Beachtung geschenkt, doch bei diesem Schild schaue ich zufällig (?) zum ersten Mal genau hin und lese:

Alemannia – Forza Fredi

Ich rufe Günther, der einige Schritte vor mir geht, zurück, weil er es auch sehen soll. Das kann doch kein Zufall sein. „Fredi“ ist ja kein Allerweltsname, und unser Junge hat heute Namenstag. Für mich ist das in mehrerer Hinsicht ein Zeichen. Heute beginnen wir unsere Pilgerschaft, heute ist Fredis Namenstag, und heute habe ich einen Schutzengel gehabt. Dieses Erlebnis am Anfang unseres Camino macht uns beide sehr nachdenklich, aber vor allem froh. Fredi ist, wie immer, bei uns.

Der Weg durch den lichten Wald ist anfangs etwas steil, aber doch leicht zu bewältigen. Es dauert nicht lange, bis wir auf eine Ebene gelangen. Eine ländliche Gegend mit Wiesen und Feldern, gelegentlich kleinen Gehöften. Es ist still und friedlich.

 

Bei der Iglesia de Santiago (im Ortsteil San Silvestre von Barbadelo) einem malerischen Kirchlein aus dem 12. Jahrhundert mit einem wunderschönen holzgeschnitzten Hochaltar machen wir einen kurzen Stopp, zünden eine Kerze für unseren Jungen an und holen uns unseren ersten erwanderten Stempel ab. Wie schön, dass unsere Wanderung mit einer Jakobs-Kirche beginnt!

 

 

Als wir nur noch ein  Drittel der Wanderstrecke vor uns haben, machen wir unsere wohlverdiente Mittagspause mit Brot und Käse und einem herrlichen Blick auf das unter uns liegende galizische Land. Eine kleine Kirche mit dem hier typischen Glockenturm grüßt zu uns herüber und abgesehen von einer Gruppe spanischer Jungen, die wohl Wandertag haben und in einiger Entfernung lautstark Rast machen, ist es herrlich friedlich hier. Vorüberziehende Pilger wünschen uns „Bon camino“, was wir dankbar erwidern. Schön, dass man sich hier so herzlich grüßt. – Da fällt mir ein, dass man in Südtirol ja auch ständig ein „Grüß Gott“ im Ohr und auf den Lippen hat. So eine Wanderschaft verbindet eben, denke ich bei mir - eigentlich überall, wo die Landschaft so beredt Zeugnis ablegt von einem Schöpfer.

Das Wandern auf dieser Hochebene macht uns überhaupt keine Probleme, obwohl wir heute über 21 Kilometer bewältigen müssen (schnell auf Holz klopfen – her mit Günthers Kopf!). Wir sind beide wirklich erstaunt, weil wir ja eigentlich untrainiert sind.

Das Wetter ist optimal. Es ist nicht zu warm, und hin und wieder schieben sich Wolken vor die Sonne, bevor sie uns den Schweiß auf die Stirne treiben kann. Wiesen, Weiden, Felder mit kleinen Steinmauern als Umgrenzung, Baumgruppen, Bäche und kleine Weiler begleiten unseren Weg. Und hin und wieder begegnen uns nicht nur Pilger, sondern auch "richtige" Menschen - Menschen, die arbeiten oder nur vor ihrem Haus zufrieden in der Sonne sitzen und das Leben genießen  - warum krieg ich das eigentlich nie hin? - und alle möglichen Viecher von hier laufen uns natürlich auch über den Pilgerweg.

Der kleinen Igrexa de Sta María de Mirallos, die am Camino liegt, hätten wir gerne einen Besuch abgestattet, aber sie ist geschlossen - kein Stempel. Schade. So begnügen wir uns mit einem Besuch des kleinen Kirchhofs und ruhen uns kurz auf dem Brunnen oder Weihwasserbecken in seiner Mitte aus.

Sta María de Mirallos - mal mit, mal ohne uns

In der urigen Bar gegenüber bekommen Pilger übrigens einen Stempel für ihren Pilgerausweis. Und da kommt mir ein leiser Verdacht: Lass ich die Kirchentür schön zu, kommen die Leute zu mir in die Bar zum Stempeln und trinken vielleicht ein Käffchen oder ein Wässerchen oder ein Glas Roten...

Wir holen uns den Stempel auch ohne Verzehr und setzen uns ein paar Meter weiter auf ein Mäuerchen, um noch mal eine Verschnaufpause zu machen, bevor wir den Abstieg nach Portomarin hinunter beginnen.

links: Camino-Kilometerstein - noch 96 km bis zum Grab des Heiligen Jakobus...

 

Kreuze am Pilgerweg

Gegen halb vier Uhr erreichen wir die Anhöhe bei Portomarin. Es folgt ein steiler und langer Abstieg hinunter zum Stausee, der meiner bisher von mir so gepriesenen Kondition den Garaus macht. Meine Knie tun weh!!!!  Und jetzt merke ich auch, dass meine alten hochverdienten Wanderschuhe, in denen ich seit Jahren problemlos gelaufen bin, mir zu klein geworden sind. Seit ich ein paar Kilo mehr auf die Waage bringe, sind meine Füße wohl etwas in die Breite und Länge gegangen… Sag ich's doch: Ich muss abnehmen! Die Zehen haben vorne zu wenig Platz, und das spürt man bergab besonders. Auaaaa!!!

Beim Überqueren der Brücke über den Stausee de Belesar, an deren Ende unser Roller (hoffentlich noch) wohl vertäut auf uns wartet, denke ich nur: Ich willlll nicht mehr! Ich denke es nicht nur, ich jammere lauthals, bis Günther meint: Jetzt isses aber genug, Schatz! Recht hast du - Schatz!

Blick auf Portomarin

Ich bin so mit meinen Füßen beschäftigt, dass ich einer Freitreppe, die sich am Ende der Stauseebrücke erhebt, keine Beachtung schenke, aber Günther belehrt mich später, dass sie ein Teil der alten Brücke über den Stausee ist, an deren oberen Ende sich eine Marienkapelle befindet. 

Mit unserem Roller (tut das gut zu sitzen!) fahren wir die letzten Meter zur Kirche von Portomarin, wo wir uns in der Kirche San Nicolás, die mitten im Ortskern steht, den wohlverdienten letzten Stempel des Tages abholen. Prompt werden wir von anderen Pilgern, die uns im Laufe der Wanderung begegnet sind, doof angeguckt, weil wir dort motorisiert ankommen. – Die zeigen mit dem Finger auf uns, denke ich bei mir, und drei Finger zeigen auf sie selbst. Das habe ich in Shirley MacLaines Camino-Buch gelesen, und es hat mich beeindruckt. Immer wenn du mit dem Finger auf andere zeigst, zeigen drei Finger auf dich selbst. Da ist was dran, und ich will mir das merken. Es bewahrt einen davor, über andere schlecht zu denken oder zu sprechen, was man doch so oft leichtfertig tut. Na bitte: Der Camino wirkt schon!

San Nicolás

Eine Besichtigung des hübschen Örtchens sparen wir uns für morgen auf, denn unsere „Pilgerlogistik“ erfordert heute noch einiges an Zeit und Aufwand…

Mit dem Roller erkunden wir vor unserer Rückfahrt nach Sarrià noch den Campingplatz Mariña, der gegenüber der Brücke am Stausee angepriesen wird. Mal sehen, wie er aussieht und ob man mit dem Womo hinkommt. Günther meint, der Weg dort hin (etwas schmal und steil) wäre kein Problem für unseren Hiram, und der Platz sieht außerdem nett aus. Dann geht’s zurück nach Sarrià, wo unser Womo brav in der Nähe des Klosters auf uns wartet. Der Roller wird festgezurrt, und schon geht es weiter nach Palas de Rey, dem nächsten Camino-Ziel, wo wir unseren Roller abstellen müssen. Anschließend fahren wir zurück nach Portomarin zum Campingplatz. Als wir dort ankommen, ist es schon nach 7 Uhr. Die ganze Aktion hat immerhin 3 Stunden gedauert, und wir sind beide jetzt erst recht kaputt.

Schönes Wiesenplätzchen bei Camping Mariña

Nach unserem Grillabendessen, will ich eigentlich nur noch alle Viere von mir strecken – was ich dann auch mache. Auf dem Sofa schlafe ich schon ein!

 

Mittwoch, 18. Juli 2007

Bis 9 Uhr dauert unser Erschöpfungsschlaf. Nach dem Frühstück ist Großreinemachen und Wunden lecken angesagt. Dann müssen die Fotos abgespeichert und der Bericht weiter geschrieben werden.

Nach einem nebeligen Tagesbeginn scheint nun strahlend die Sonne. Auf dem Platz, der wirklich liebevoll angelegt ist und ein uriges Restaurant aufweist, campen nur Wanderer - Spanier und eine Gruppe Holländer, die, wenn sie in cumolo sind, ziemlich laut sind. O jeh, wie war das mit dem Finger?

Am Nachmittag ziehen wir in Badeklamotten und mit Handtüchern bewaffnet hinunter zum Stausee, dessen Ufer etwa 30 Meter vom Campingplatz entfernt ist. Die "Wachhunde" des Platzes, ein gutmütiges Boxerpärchen, begleiten uns und passen auf uns auf. Günther mag nun doch nicht ins Wasser gehen, weil der Untergrund etwas glitschig ist und er keine Badeschuhe dabei hat, aber ich genieße das Bad im warmen Seewasser auch ohne ihn.

 

Zwei Stunden später lese ich im Pilgerführer, dass mein Badegenuss gesetzwidrig war. – Im Stausee Belesar ist das Baden wegen gefährlicher Unterströmungen und auch wegen des sehr schlammigen Untergrundes streng verboten. Ob die beiden Vierbeiner mich deshalb so aufmerksam beobachtet haben? Nirgendwo am Ufer oder auf dem Campingplatz steht ein entsprechendes Hinweisschild. Das wäre in unserem deutschen Ländle undenkbar, oder? Vorsichtshalber bin ich nicht so weit hinaus geschwommen wie sonst, denn bei unbekannten Gewässern ist das so eine Sache – wie man hier wieder einmal sieht.

  

Auf dem Weg nach Portomarin

Gegen 5 spazieren wir nach Portomarin hinein. Die Hauptdorfstraße ist liebevoll angelegt mit Arkadengängen vor den Häusern. Der Ort ist ausgesprochen hübsch. Man kann gar nicht ahnen, dass in den 60er Jahren fast das ganze Dorf Opfer des Stausees geworden wäre. Als der Minho/Miho 1962 nach Fertigstellung des Staudamms Belesar aufgestaut wurde, versank der alte Brückenort Portomarin in den Fluten. Mit ihm andere Orte, Bauernhäuser, Brücken und ganze Wälder. Aber Portomarin blieb dennoch erhalten, wenn auch an anderer, höherer Stelle, denn zuvor hatte man in aufwändiger und akribischer Kleinarbeit die wichtigsten Bauten des Ortes abgetragen und wieder aufgebaut. Die romanische Kirche San Nicolás, die kleine Kirche links vom Ortseingang und zwei Stadtpaläste (Casa dos Condes, 16.Jh. und Patacio de Berbetoros, 17. Jh.) sind gerettete Monumente aus dem ansonsten untergegangenen Ort. Und die merkwürdig zusammenhanglos in die Landschaft gestellte Treppe, auf der man zum Ort hinauf geht und der ich gestern wegen meiner schmerzenden Knie kaum Beachtung schenkte, ist ein Teil (nämlich ein Bogen) der alten Miñobrücke, die dem Ort seine Bedeutung und seinen Namen einbrachte (im Liber Sancti Iacobi, dem Pilgerführer des Mittelalters, wird Portomarin als Pons Minee erwähnt). Dieser Brückenteil wurde dazu benutzt, die Kapelle der Heiligen Jungfrau de las Nieves zu bauen.

Portomarin - Die Wehrkirche San Nicolás (13. Jh.) gehörte dem Kreuzritterorden, der die Pilger auf ihrem Weg zum Grab des Apostels Jacobus beschützte. Sie beherrscht den Ort und hat - mit hochwertiger Bauplastik am Westportal - einen hohen künstlerischen und kunsthistorischen Wert, doch die Flussbrücke war das eigentlich bedeutende Baudenkmal des Ortes. Diese Brücke über den Minho bestand seit dem 12. J h. (um 1120), sie erleichterte den Verkehr zwischen den Flussufern, was für den Ort sehr wichtig war, da er sich zu beiden Seiten des Tales erstreckte, vor allem aber für die Pilger, die jetzt wesentlich leichter vorankamen als vorher. Drei Klöster hatte der Ort im Mittelalter und ein großes Hospital der Johanniter, eines der wichtigsten am Jakobsweg.
Heute ist Portomarin ein hübsches, aber eher schläfriges Örtchen, obwohl im Hochsommer einige Touristen kommen, von den Pilgern ganz zu schweigen. Der Stausee wird im Sommer von Booten befahren, es gibt Reitställe, und die guten Käse (tetilla - »Brüstchen«) sowie ein für den Ort typisches Backwerk verlocken zum Kaufen und Mitnehmen. Hervorragender Weißwein wird an den Ufern gebaut, Tresterschnaps daraus gebrannt, der bis vor kurzem verbotene Orujo.

Die trutzige Kirche, in der wir uns gestern unseren Pilgerstempel geholt haben, steht mitten im irgendwie lieblichen Ortskern. - Nette, Blumen geschmückte Häuschen mit Arkaden vor ordentlichen Ladengeschäften, Bars und Restaurants, das alles gefällig drapiert rund um einen kleinen Dorfplatz mit dem imposanten Namen Plaza Mayor.

Wir haben es kaum zu hoffen gewagt: Es gibt in Portomarin ein Geschäft, in dem man Wanderzubehör kaufen kann, und dort finden wir ein Paar Wandersandalen für mich (für 35 Euro, was sicher nicht zu teuer ist). Nun muss ich mir um die morgige Wanderung keine Sorgen mehr machen, denn in diesen Latschen kann ich sicher problemlos wandern. Auch Brot und Käse erstehen wir preiswert in Portomarin und lernen an der Kasse ein nettes junges Pärchen aus Deutschland kennen, mit denen wir eine fachmännische :-) Unterhaltung unter Pilgern führen. Die beiden jungen Leute – er sieht aus wie unser Freund Will – erzählen, dass sie schon in Léon in den Camino eingestiegen sind (bis Santiago sind das insgesamt ca. 350 Kilometer), und dass es schon eine harte Strecke war – aber die junge Frau strahlt dabei übers ganze Gesicht. Ich bin ziemlich beeindruckt. In einer kleinen urigen Bar trinken wir zum Abschluss unseres Dorfbesuches einen – wie bisher überall – hervorragenden Café con leche, bevor wir zum Campingplatz zurückbummeln.

Kurz nach unserer Rückkehr zum Campingplatz Mariña kommen neue Camper in einem funkelnagelneuen Carthago-Womo an. Während wir unser Grilldinner genießen, beobachten wir amüsiert die Aktivitäten des älteren Paares - unser Alter :-) in etwa - aus Unna. Oberstes Gebot: der Fernsehempfang muss funktionieren! Tat er aber heute Abend erst einmal nicht.

Nach dem Essen statten wir der urigen Campingkneipe noch einen Kurzbesuch ab, bevor wir uns zeitig in die Koje begeben, um morgen fit für unsere Wanderung zu sein.

 

 

Donnerstag, 19. Juli 2007

Um 7 ist heute Aufstehen angesagt, denn wir wollen spätestens um 9 loswandern. Die Holländer sind schon um 8 auf Achse, und Unna wird um 9, als wir uns gerade auf den Weg machen,  von einem Taxi abgeholt.

Unsere heutige Pilgerwanderung beginnt mit einem Handicap: Wir müssen erst einmal 1 ½ Kilometer – inklusive eines steilen Anstieges -  wandern, um zum Ausgangspunkt der Wanderstrecke zu kommen.

Wegbeschreibung Wanderkarte Von Portomarin nach Palas de Rei

auf dem Weg nach Portomarin

Die im Pilgerführer beschriebene Etappe von 24,5 km beginnt an der Fußgängerbrücke in Portomarin, die über den Rio Miňo am Ende des Stausees führt. Auf der anderen Seite beginnt ein schmaler Weg unter Eichen, später Kiefern, der nicht allzu steil den Berg hinauf steigt. Es ist noch recht kühl und die Luftfeuchtigkeit ist hoch, aber das Pilgern macht uns wieder richtig Spaß.

Nach knapp 20 Minuten erreichen wir eine weite Hochebene. Kurz vor dem Dorf Gonzar kommen wir an einem schönen Picknickplatz mit Brunnen unter mächtigen Trauerweiden vorüber. Für uns ist es noch viel zu früh für einen Imbiss, doch einige Pilgerkollegen sitzen hier bereits und futtern (vielleicht gab’ s ja bisher noch kein Frühstück).

Wir sind etwas enttäuscht, dass sowohl in Gonzar als auch - auf unserem weiteren Weg - in Castromaior, Lameiros und Lestedo die Dorfkirchen verschlossen sind. Es wäre sicher kein Problem, sie für die Pilger während des Tages zu öffnen und einen Stempel dort bereit zu legen; statt dessen muss man sich seine notwendigen Stempel für den Pilgerpass (normalerweise einer täglich, doch von den Pilgern, die nur die letzten 100 Kilometer laufen, werden 2 Nachweise täglich verlangt) in Bars oder Restaurants abholen, was uns überhaupt nicht gefällt. Im übrigen würden wir so gerne in den meist sehr alten Kirchen, die so viel schlichte Gläubigkeit widerspiegeln, einkehren – nur zum kurzen Ausruhen und Besinnen. Aber – wie der Kölner so schön sagt: Et es wie et es, un et kütt wie et kütt.

Schon wieder verschlossen? Jetzt bimmele ich. Ja, isset denn möchlich?

  Keiner öffnet uns die Kirchentüre in Gonzar!

Auch in Castromaior will man die Pilger nicht im Gotteshaus haben.

An einer der - Stempel führenden - Bars treffen wir auf das deutsche Pärchen, mit dem wir gestern an der Kasse im Supermarkt einen Pilgerplausch hatten. Den Beiden geht es genau wie uns, sie sind enttäuscht darüber, dass so viele Kirchen ihre Pforten vor den Pilgern verschlossen halten.

In Ventas de Narón, einem äußerst windigen Örtchen, gibt es einen sehr hübschen Picknickplatz, wo wir unser karges, aber leckeres Pilgermahl verzehren. In vergangenen Jahrhunderten muss es hier lustig zugegangen sein, denn der Name bedeutet „Schenken von Naron“ – und nicht, wie ich erst glaubte „Winde von Naron“, was heute viel besser passen würde.

Auch die kleine Kapelle von Ventas de Narón ist geschlossen...

Die Sonne kommt endlich einmal heraus, so dass wir bei Brot, Käse und Wasser ein bisschen Gemütlichkeit empfinden. Apropos finden: Günther findet einen hübschen Pilgerring, und wir nehmen ihn mit und hoffen, dass wir ihn vielleicht der Pilgerin zurückgeben können, die ihn hier verloren hat.

Bei der urigen Albergue Fuente del Pelegrino von Ligonde wird allen Pilgern kostenlos Kaffee angeboten. Der Ort mit seinen alten Natursteinhäusern ist an sich schon ein Erlebnis, aber die Ansammlung von überwiegend jugendlichen Pilgern, die sich dort vor der Herberge tummelt, Erfahrungen austauschend, Gitarre spielend oder einfach nur Kaffee trinkend, gefällt uns besonders. Eine junge Deutsche ist hier die Verantwortliche. Ich bitte sie, den Ring zu nehmen. Vielleicht kommt ja jemand vorbei, der weiß, wem er gehört. Ein deutscher Pilger, der neben mir steht, schaut erstaunt auf  unseren Fund: Ich glaub’, der gehört der Martina. Also gebe ich ihm das gute Stück. Jetzt wird er ganz hektisch, er muss sich beeilen, Martina noch einzuholen. Sein Eifer ist fast schon Übereifer. Martina scheint nett zu sein…

Waschtag in Ligonde

In Ligonde gibt es eine dem Apostel Jakob geweihte Kirche, ursprünglich romanisch, im 18. Jahrhundert jedoch neu erbaut und heute – geschlossen. Was auch sonst? Ein herrlicher Cruceiro (unten rechts) entschädigt uns wenig später dafür.

An der Albergue von Airexe sehen wir den eifrigen Ringkavalier wieder mit zwei hübschen Mädchen, eine blond, eine dunkel. „Es hat geklappt“, ruft er uns zu und sagt was zu der Dunklen, die, ein Handy am Ohr, uns freundlich dankend zuwinkt. Na bitte, auf dem Camino geht so leicht wohl nichts verloren, denn man trifft sich immer mal wieder.

Typisch in dieser Gegend: die Horreos - Getreidespeicher

Kirchlein von Lestedo - geschlossen

Ein oder zwei Kilometer vor Palas de Rei überholt uns ein lang aufgeschossener deutscher Pilger. Wann kommt denn dieses blöde Dorf? fragt er. Wir sagen es ihm, es kann nicht mehr lange dauern. Eine Strecke des Restweges gehen wir gemeinsam. Er kommt „auch vom Rhein“, erzählt er, „von der Loreley“. Wir schwelgen gemeinsam in Erinnerungen an Open Air-Konzerte auf der Loreley. Er erzählt, dass er in Leon in den Camino eingestiegen ist, und wie gut ihm das Pilgern gefällt (viel besser als All Inclusive-Urlaube am Strand). Und dass er noch bis Finisterre wandern, dort seine Pilgerklamotten verbrennen und am Strand schlafen will (eigentlich ist er aus dem Alter raus – schätzungsweise um die 40 – aber was heißt das schon?). Dann zieht er von dannen. Er hat es eiliger  als wir, muss noch ein Quartier für die Nacht finden. In den Sommerferien nehmen Schulklassen und spanische Familien, die ein paar Kilometer auf dem Camino wandern, den Langzeit-Pilgern oft die Schlafplätze in den Herbergen weg.

Am Ortseingang von Palas de Rei, dem „blöden Dorf“, sehen wir ihn wieder. Er sitzt auf den Stufen des Pilgrim Office und wartet dort auf seine Kumpels. Gegen halb 5 erreichen wir die Kirche San Tirso (Foto unten) in Palas de Rei – nicht halb so kaputt wie vorgestern, obwohl wir heute 26 km gewandert sind, 5 km mehr als bei der ersten Pilgerwanderung.

Schon wieder ein „Lumpensammler“ unterwegs! Am späten Nachmittag sieht man immer häufiger Taxen, die die Fußkranken einsammeln, die es nicht mehr bis zum Etappenziel schaffen.

Gegen halb 5 erreichen wir die Kirche San Tirso in Palas de Rei – nicht halb so kaputt wie vorgestern, obwohl wir heute 26 km gewandert sind, 6 km mehr als bei der ersten Pilgerwanderung.

Die uns wenig ansprechende Kirche, die am oberen Ortsrand von Palas de Rei liegt, hat außer einem romanischen Portal nichts Nennenswertes aufzuweisen. Immerhin erhalten wir dort den letzten Stempel des Tages. Auf der Hauptstraße des Ortes angelangt, freuen wir uns, unseren Fury noch brav an der Stelle stehen zu sehen, wo wir ihn vorgestern geparkt hatten. Der Ort, den wir eilig durchqueren, hat trotz seines viel versprechenden Namens, wenig zu bieten. Nennenswert wäre höchstens eine kleine Pikanterie, die im mittelalterlichen Pilgerführer des Aimeric Picaud verzeichnet ist: Spätestens zwischen der »Miño‑Brücke in Portomarin) und Palas de Rei sollen Dirnen und Halsab­schneider (die zum Teil sogar aus Santiago kamen) versucht haben, den erschöpften Pilgern das wohlbehütete Geld aus dem Beutel zu locken.

San Tirso

Da es immer noch sehr kühl und windig ist, gestaltet sich unsere Rückfahrt zum Campingplatz als eher ungemütliche Tour, und so sind wir froh, als wir in die Wärme unseres Wohnmobils zurückkommen.

Am Abend gehen wir im Restaurant des Campingplatzes essen. Wir haben keinen Tisch reserviert, und so staunen wir nicht schlecht, als man uns, kaum dass wir am Fenster mit Seeblick Platz genommen haben, ohne Bestellung eine Literkaraffe Rotwein und eine Flasche Wasser bringt. Niemand fragt uns, was wir essen möchten. Ein Korb Brot, der wenig später gebracht wird, verhindert, dass die Wirkung  des leckeren Landweines verheerende Folgen zeigt. Dann wird eine große Schüssel Suppe aufgetischt. Grün ist sie, lecker obendrein, aber was isses??? Egal, wir essen sie mit Appetit. All you can eat, scheint das Motto zu sein, und so greift Günther ein zweites Mal zur Suppenkelle. Der nächste Gang ist wieder üppig: Eine große Platte mit (leckeren) Pommes Frites, darüber zwei dünne, aber riesig große Scheiben leicht gebratenes Rindfleisch mit Zwiebeln und dazu noch eine große Platte Grüner Salat mit Tomaten.

Beim Nachtisch werden wir dann zum ersten Mal etwas gefragt. Schoko- oder Käsekuchen oder lieber Eis? Wir wählen Eis und sind froh, dass es noch in uns hineinpasst. Zum Abschluss schenkt uns der Wirt noch einen Kräuterlikör ein (irgendwas mit Anis und Pfefferminz, glaube ich). Günther verzieht beim Probieren das Gesicht, und so gibt es für mich zwei Schnäpschen. La cuenta, por favor, sagt mein weltmännischer Gemahl schließlich und will zahlen. Doch der Wirt erklärt uns wortreich (aber auf Spanisch, das wir ja nicht so gut verstehen, weil wir ja eher Italienreisende sind), dass wir nicht zahlen müssen. Wir staunen, aber dann fällt der Groschen: Er setzt es auf unsere Campingrechnung. Auch gut.

Nach diesem üppigen Essen haben wir die nötige Bettschwere erreicht. Unser Tagewerk ist vollbracht; wir waren brave Pilger.

Freitag, 20. Juli 2007

Heute haben wir wieder einen  Ruhetag eingeplant. Wäsche waschen, Bericht schreiben, relaxen. Außerdem wollen wir zu die gestern ausgelassene Kirche in Vilar de Donas besichtigen, die für uns einen Umweg von 3 km bedeutet hätte.

Am Mittag kommt ein netter Wanderer aus Mainz an, der uns erzählt, dass er sozusagen daheim losgepilgert ist und die Wanderung in Etappen gemacht hat. Ich brenne ihm seine Fotos auf CD, weil seine Speicherkarte voll ist. Er will genau wie wir am 24. Juli, dem Vorabend des Jakobsfestes, in Santiago ankommen. Ich bin sicher, da wird in Santiago die Hölle los sein - schöne Beschreibung bezogen auf das Fest eines Heiligen J .

Kurz bevor wir zur Kirche in Vilar de Donas fahren, kommen die beiden aus Unna mit dem Taxi von ihrer Wanderung zurück. Sie kann kaum noch laufen, kriegt die Füße nicht mehr hoch. Wir kommen kurz ins Gespräch – welche Tour, wie war’s – was man halt so smalltalkt. Mitfühlend sage ich: Ich sehe, Sie haben Probleme mit den Füßen… Da fällt der Mann mir ins Wort, ehe seine Frau selbst antworten kann: Nein, meine Frau hat keine Probleme mit den Füßen! Oweia, ich wollte nur aus meinem reichen Erfahrungsschatz berichten, dass Wandersandalen eine wunderbare Ergänzung zur Ausrüstung eines fußlahmen Jakobspilgers darstellen. Aber bitte schön, dann nicht. Günther ruft mich ins Womo, und die Frau humpelt zu dem ihren. Ja, dann auf Wiedersehen. Ende der Unterhaltung.

Unsere Rollerfahrt nach Vilar de Donas ist eine windige und kalte Angelegenheit. Bevor wir zu der Kirche fahren, müssen wir in Palas de Rei noch tanken. Es ist exakt 18 Uhr, als wir am Kirchenportal stehen, und wir lesen enttäuscht: Orario: 16.30 – 18 Uhr. Super! Die schließen hier aber pünktlich.

Vilar de Donas - Die Kirche gilt als das wichtigste künstlerische Monument aus der Zeit, in der der Ritterorden des Heiligen Jakob hier großen Einfluss hatte. Das Kloster Vilar de Donas wurde als Nonnenkloster gegründet (daher auch der Name – das galizische Wort „dona“ bedeutet „Nonne“) und ging 1184 an den gerade gegründeten Jakobsorden über, der zu dieser Zeit in der Gegend von Portomarin schon sehr mächtig war. Seit dieser Zeit war es der offizielle Begräbnisort der galizischen Jakobsritter.

Die romanische Kirche des Klosters ist in der Form eines lateinischen Kreuzes erbaut worden, einschiffig mit einer halbkreisförmigen Apsis. Über dem Altar wird in einer Wandmalerei das Wunder von O Cebreiro dargestellt. Weitere (gotische) Wandmalereien aus dem 15. Jahrhundert zeigen die Verkündigung Marias. Im Innern der Kirche befinden sich außerdem mehrere Gräber und Grabplatten dort bestatteter Jakobsritter.

Findig wie ein Paparazzi habe ich doch tatsächlich in dem fest verschlossenen uralten Kirchenportal ein Loch entdeckt, durch das ich zumindest einen kleinen Teil des Kircheninneren fotografieren kann. Es erstaunt mich immer wieder, was so eine Digitalkamera alles kann.

Altarraum

Foto aus dem Internet

Portal

Rittergrab

Klostergarten mit Horreo

Mal schauen, was es da zu sehen gäbe...

Bei der Rückfahrt nach Portomarin klappern uns die Zähne vor Kälte. Haben wir Sommer - oder wie oder was?

Heute gehen wir früh schlafen. Kräfte für morgen sammeln J .

 

Samstag, 21. Juli 2007

·         6 Uhr früh: Su lang mer noch am Lääve sin…

·         6.45 Uhr: Frühstück bei Jünni un Jabi

·         7.20 Uhr: Auf jeht’s! – Beim Öffnen der Vorhänge im Cockpit entdecken wir zwei Müsli-Riegel und ein Briefchen von unserem Pilgerfreund aus Mainz und sind gerührt.

·         7.30 Uhr: Aufladen des Rollers, den wir oberhalb des Campingplatzes an der Straße, die ins Dorfzentrum führt, abgestellt haben, damit Hiram ihn nicht die steile Straße vom Campingplatz hinauf transportieren muss.

·         8.15 Uhr: Wir stellen unseren Roller in Melide an der Hauptstraße ab. Rückfahrt nach Palas de Rei.

·         9 Uhr: Abmarsch in Palas de Rei

Na, ist das Logistik??? Die Wanderung steht heute unter einem günstigen Stern bzw. Himmel. Es ist nebelig, aber der blaue Himmel lässt sich erahnen. Es wird ein wunderschöner Pilgertag.

Von Palas de Rei über Melide(1. Etappe) nach Arzúa (2.Etappe)

Wegbeschreibung Wanderkarte

Genau genommen müssten wir heute, wenn wir exakt nach unserem Pilgerführer wandern würden, bis Arzúa  pilgern. Wir haben uns aber entschieden, die 29 km-Strecke zu halbieren und nur bis Melide zu gehen. Bis dorthin sind es 15 km, und das langt uns heute.

Nach knapp einer Stunde führt uns der Camino durch das Dorf San Xulián, in der wir eine kleine romanische – geschlossene – Dorfkirche bewundern und uns erneut ärgern, dass wir sie nicht betreten können.

In San Xulián entdecken wir auch eine liebevoll geführte Herberge mit uriger Bar und schönem Ambiente: die Albergue Abrigadoiro. Hier müssen wir natürlich einen – leckeren - Milchkaffee trinken. Den Frühstückskaffee muss ich aber vorher noch wegbringen – ein kurzweiliger Toilettengang – die Kühe werden just am Klofenster vorüber zur Weide getrieben.

Hórreo bei San Xulián

Galiciens Unterland ist reich an kleinen Bauerndörfern, deren dekorati­ve Maisspeicher und alte, von Kreuzigungsszenen und Mariendarstellungen gekrönte Steinkreuze kaum zu zählen sind. Besonders häufig begegnen wir auf unserem Weg den hórreos, den Maisspeichern. Diese sind schmale, längliche Kästen mit durchbrochenen Wänden, die Luft hereinlassen und so das Verschimmeln verhüten ‑ in der feuchten Luft Gaticiens wäre Mais bald verdorben, ließe man ihn unter Luftabschluss. Aber durch Löcher gelangen Mäuse: Um das zu verhindern, hat man die Speicher auf Stelzen gestellt und un­ter den eigentlichen Getreidekasten eine breite Steinplatte gelegt ‑ das hält Mäuse effektiv ab.

 

Schöne Wegstrecke durch Eichenwald

Im Eichenwald begegnen wir einer - vermutlich südamerikanischen – Pilgerin, die im Schneckentempo, Schrittchen für Schrittchen mit sichtlich großen Schmerzen die Steigung bewältigt. Auch ein älterer Herr fällt uns auf, der nur mühsam vorankommt. Unterwegs treffen wir sogar auf einen einbeinigen Pilger, der an zwei Krücken zum Grab des Heiligen Jakobs pilgert. Ein anderer macht seinen Weg nach Santiago im Rollstuhl. Es kann nicht nur Ehrgeiz sein, der diese Menschen durchhalten lässt.

Und dann erleben wir eine Gruppe aus Berlin-Wilmersdorf – evangelische Kirchengemeinde oder so (mit eigens für die Pilgerreise beflockten T-Shirts), deren Leute geschwätzig und selbstgefällig und – weiß gar nicht wie noch, mir fehlen die Worte - den Weg nach Santiago gehen…. Uiih, jetzt zeige ich schon wieder mit dem Finger. In der ersten Bar, gleich am Ende eines steilen Anstiegs vor dem Dorf Coto, der Günther, dem eine offene Blase am Fuß zu schaffen macht, schwer fällt, setzen wir uns nieder und geraten just mitten unter diese Gruppe. Obendrein ist der Kaffee hier – zum ersten Mal, seit wir auf dem Jakobsweg sind, echt übel, Spülwasser sozusagen. Also merken: erste Bar in Coto meiden!!! Los dos Alemanes, heißt sie. „Man spricht aüh deutsch“ steht dran, aber selbst wenn man dort aüh deutsch spricht, ist der Kaffee dort schlecht und die Atmosphäre aüh. Eine Bar weiter sieht’s urig aus, und der Kaffee ist, ich könnte drauf wetten, aüh besser. Gegenüber liegt die Bar Casa de la Somoza mit einem großen Garten, die – wie ich zu spät im Pilgerführer lese – ein beliebter Pilgertreffpunkt sein soll.

Die spätromanische Dorfkirche Santa Maria, auf die wir wenig später links des Weges durch das alte Dorf Leboreiro stoßen, ist selbstverständlich geschlossen, aber das schöne Portal können wir uns zum Glück ansehen - im Tympanon sieht man eine schöne Skulptur von Maria mit dem Jesuskind

 

Wir haben die Brücke schon ein gutes Stück hinter uns gelassen, als Günther mir von einem Briefchen erzählt, das er dort entdeckt hat. Ich laufe schnell noch einmal zurück, weil ich es unbedingt auch lesen will. Propi Bum ist ja wohl ein Schatz, oder?

Im nächsten Örtchen kann ich der Versuchung nicht widerstehen, bei einer alten Bäuerin einen selbst gemachten Käse zu kaufen. Nach dem Preis zu urteilen, den ich unklugerweise nicht zuerst erfragt habe, muss der kleine Rundling sensationell schmecken: 10 Euro cash us dr Täsch!

Nachdem wir ein Gewerbegebiet und ein Waldstück durchquert haben, erreichen wir den Ort Furelos, der gleich zu Beginn mit einer Sehenswürdigkeit aufwartet: Die vierbogige romanische Brücke Ponte Velha.

Blick auf Furelos

In Furelos kehren wir, gefrustet ob einer weiteren geschlossenen Kirche (San Juan), erneut in  einer Bar ein, um uns einen Stempel abzuholen. Hier wird sogar ganz ungeniert mit dem Stempel Reklame gemacht (Fotos links). Wir bleiben trotzdem dort hängen und trinken einen leckeren Rotwein aus Keramikschalen (1 Euro!). Während wir uns noch über den preiswerten Mittagsschoppen freuen, treffen neue Stempler ein: Unsere Womo-Kollegen aus Unna. Endlich ergibt sich mal ein Gespräch. Die sind nett, sagen wir beide wenig später. Außerdem kennen sie den Campingplatz in Santiago, auf den wir wollen. Dafür informieren wir sie, dass wir von einem Campingplatz in Arzúa gehört haben. Dort werden wir uns eventuell wieder sehen.

Das nette deutsche Pärchen  treffen wir auch wieder. – Jedes Mal kriege ich einen Schrecken, wenn ich den jungen Mann plötzlich zu Gesicht bekomme: Was macht der Will denn hier?  Er sieht unserem Freund wirklich zum Verwechseln ähnlich. Die junge Frau, die uns erzählt hatte, dass sie große Probleme mit den Füßen hatte, fragt interessiert nach meinen Erfahrungen mit den in Portomarin gekauften Sandalen. Ich muss ehrlich zugeben, dass sie doch nicht das allein selig machende Pilgerschuhwerk sind, denn heute habe ich arge Knöchelschmerzen. Immerhin sind sie für mich und meine von zu den kleinen Wanderschuhen gepeinigten Zehen die Rettung gewesen. In den geschlossenen Schuhen hätte ich die beiden letzten Wanderungen nicht durchgestanden.

Gegen 3 Uhr kommen wir müde, aber sehr zufrieden, in Melide an, das eine wichtige Pilgerstation war, obwohl es im Liber sancti Iacobi nicht erwähnt wird. Hier trafen sich der Camino francés und die Pilgerroute aus Lugo und Oviedo, es entstanden zwei romanische Kirchen – San Pedro und Santa Maria und Pilgerhospitäler.

Melide ist wahrscheinlich römischen Ursprungs. Urkundlich belegt ist seine Geschichte mit der Bebauung des Burghügels, jedoch fiel die Burg dem Bauernaufstand gegen den Adel zum Opfer. Auch von der früheren romanischen Kirche San Pedro im gleichnamigen Ortsteil findet sich nur noch das Portal mit neuzeitlichem Anbau wieder. In der Nähe dieses Gebäudes finden wir das älteste steinerne Wegkreuz  Galiziens vor. Das gotische Kreuz aus dem XIV. Jh. zeigt den glorreichen Christus, auf einem Thron sitzend, gekrönt mit der Dornenkrone, die Wunden seiner Füße und Hände zeigend. Auf der anderen Seite des Kreuzes ist Christus mit Maria und Johannes in Stein geschlagen. Erhalten geblieben ist dagegen die Pfarrkirche (Iglesia Parroquial) Santa Maria de Melide, ein einschiffiges Gotteshaus mit rechteckigem Grundriss, einem Tonnengewölbe, und einer Apsis, rechteckig und mit halbkreisförmiger Stirnfläche. Beeindruckend sind die Freskenmalereien aus dem XV. Jh. im Gewölbe und an den Wänden der Apsis.

Iglesia Santa Maria

Nachdem wir unseren treuen Fury freudig an seinem Parkplatz begrüßt und befreit haben, kaufen wir in einem Supermarkt noch Wein ein, bevor wir zurück zu unserem Hiram düsen. Unterwegs sehen wir den netten Mainzer Burschen mit den leckeren Müsli-Riegeln (wir haben sie natürlich schon vertilgt). Winkewinke… Unser Hiram steht noch unbeschadet in Palas de Rei. Roller wieder aufladen, zurück nach Arzúa über Melide, wo wir Mainz schon wieder treffen, einen kleinen Plausch halten und dabei erfahren, dass er heute 40 km gepilgert ist. Oha, sagt Günther sehr richtig. Durch ganz Arzúa fahren wir dann ohne einen Hinweis auf den Campingplatz Don Manuel. Am Ortsende stehen die Womokollegen aus Unna an einer Tankstelle. Sie haben den Campingplatz auch nicht gefunden. Ich frage in der Tankstelle nach und erfahre, dass der Platz im vorigen Jahr geschlossen wurde. Un jetz? Die Beiden aus Unna wollen zu dem Campingplatz in Monterroso fahren, den ich auch bei Google gefunden hatte. Er liegt aber noch 17 km südlich von Melide. Wir diskutieren unsere Pilgerweglogistik erneut. Ergebnis: Wir stellen den Roller hier in Arzúa ab (Pilgerziel der nächsten Etappe), fahren auch auf den Campingplatz und morgen früh parken wir das Womo in Melide und wandern dort los.

Von Arzúa nach Monterroso

Die Fahrt nach Monterroso ist für unser Schlachtschiff mal wieder eine kleine Herausforderung, enge, kurvige Sträßchen, bergauf, bergab. Aber Hiram fährt uns brav zum Ziel. Der Campingplatz ist eine echte Enttäuschung, auch wenn er neben einem traumhaft schönen öffentlichen Schwimmbad liegt, das einen Fluss in sein Konzept mit einschließt. – Aber wir können dieses Angebot ja nicht nutzen.

 

Campingplatz Camping Municipal de Monterroso
Adresse Complexo Turístico de A Peneda
Ort 27560 Monterroso
Telefon 982-377501
Fax 986-852837
email aged@cinsl.es
Anfahrt Im Ort beschildert

Am Abend scheint die Sonne herrlich warm – direkt ins Herz…

 

Sonntag, 22. Juli 2007

Heute Morgen guckt die Sonne etwas zaghaft durch die lockere Wolkendecke. Optimales Wanderwetter! Was sagen die Füße? Och jut. Seit wir auf dem Camino sind, fragen wir uns gegenseitig mehrmals täglich – selbst in der Nacht, wenn wir mal wach werden, nach dem Befinden unserer Füße und Beine, die in diesen Tagen zu unseren wichtigsten Körperteilen geworden sind. Was macht deine Blase (wobei natürlich keine urologische Diagnose gemeint ist)? Wie geht’s deinen Knien? Geht’s noch (auch das bezieht sich nur auf die alleruntersten Körperteile)?

Es ist Sonntag, und wir wandern zur Ehre Gottes auf den Spuren des Heiligen Jakobus weiter Richtung Santiago zum Grab des Apostels. Doch unsere Camino-Logistik erfordert, dass wir zuerst mit dem Womo nach Melide fahren, wo unsere heutige Pilgeretappe beginnt. Das bedeutet natürlich, dass wir wieder fast zu nachtschlafender Zeit (6.30 Uhr ist im Urlaub ja wohl eine heftige Weckzeit, oder?) aufstehen müssen, um nicht zu spät auf dem Camino zu sein.

Als wir in Melide mit dem Womo ankommen, entdecken meine Pilgeraugen, die wohl doch noch allem Weltlichen entsagt haben, einen bunten Wochenmarkt. Da muss ich hin – nach Wandersocken suchen! Meine in Sarrià erstandenen Socken sind zu groß und werfen Falten. Das macht sich im Schuh gar nicht gut. Günther verzieht gutmütig das Gesicht und ergibt sich in sein – leidgeprüftes – Ehemannschicksal.

Socken finde ich auf dem Markt nicht, jedenfalls keine zum Wandern, aber Pflaster kaufe ich - in der Farmacia. En gros! In der Apotheke stehen außer mir noch drei andere Pilger/innen mit dem gleichen Kaufanliegen, aber der Akademiker hinter der Theke ist nicht in der Lage, die Kunden, die alle Englisch beherrschen, zu beraten. Unglaublich! Die verdienen sich hier dumm und dusselig an den Pilgern, aber mal drei Worte in einer Fremdsprache lernen, um den Leuten vernünftig Auskunft geben zu können, ist zuviel verlangt. Wir helfen uns gegenseitig weiter, so dass jeder schließlich mit dem einen oder anderen Pflasterpäckchen oder Sälbchen an der Kasse steht, die fleißig klingelt…

Wanderbeschreibung und Karte wie gestern: 2. Etappe

Die heutige Wanderung von Melide nach Arzúa hat mich nicht zu Begeisterungsstürmen hingerissen, weil man ständig Straßen über- oder unterquert, auf staubigen Sandpisten läuft und für’s Auge nicht viel Schönes geboten bekommt. Vielleicht habe ich ja deshalb heute Konditionsprobleme. Möglich, dass es sich auch umgekehrt verhält: Ich bin schlecht drauf und mache den Pilgerweg darum ungerechterweise mies? Wer weiß das schon – höchstens der Heilige Jakob. Günther findet es jedenfalls heute ganz okay. Dafür war er aber gestern nicht so gut drauf, während ich Bäume hätte ausreißen können. So geht’s bisher zumindest einem von uns immer super, und der hält dann den Schwächelnden moralisch aufrecht.

 

links: im Dorf Santa Maria  rechts: Calzada mit alter Pflasterung

Steinerner Waschplatz bei Santa Maria

Überquerung des Río Catasol - ein Steg aus massigen Steinbrocken führt uns trockenen Fußes über den kleinen Fluss

In einer Albergue, wo wir uns einen Stempel für den Pass abholen, schaue ich in die Gaststube, denke mal wieder: Huch, der Will – und freue mich, die beiden jungen Pilger aus Deutschland wiederzusehen, die dort einen Kaffee trinken. Man trifft sich auf dem Camino eben immer wieder.

Die Wilmersdorfer Evangelen liefen uns auch heute über den Weg und waren uns immer noch nicht sympathischer (wie war doch noch der Hit von Norbert Alich & Jürgen Becker? - Ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin… ). Eine Ausnahme ist die Exotin der Gruppe, von der wir gar nicht angenommen hatten, dass sie dazugehört. Unser Alter, grün aussehend (politisch gesehen – wie grüne Frauen halt meistens so rumlaufen), ein bisschen verschroben, aber nett. Wir laufen ein Stück des Weges mit ihr und haben eine nette Unterhaltung.

Sie erzählt, dass sie es ganz angenehm findet, mit einer Gruppe unterwegs zu sein. Man könne sich morgens und abends mit Leuten unterhalten, aber auf dem Pilgerweg doch für sich sein. Das können wir sehr gut verstehen – mit diesen ständig smalltalkenden Leuten würden wir auch nicht gerne auf dem Camino unterwegs sein. In einer Bar erlebten wir auch heute wieder zwei Willmersdorfer Pärchen und waren froh, als sie gingen. Die Frau ist bestimmt in der Gruppe die Außenseiterin. Schließlich sagt sie: Jetzt lasse ich euch aber wieder alleine weiterwandern, wir sehen uns sicher noch. Da sie zwar nett, aber überaus gesprächig ist, sind wir für diesen Vorschlag dankbar. Wir begegnen uns noch mehrmals an diesem Tag.

Durch Wiesen hindurch erreichen wir den Ort Parabispo, Eukalyptus, Eichen und später auch Birken begleiten uns  bis Peroxe.

Die Eukalyptuswälder verbreiten ihren typischen Duft. Ein großer Teil der Bäume sieht aber unserer unmaßgeblichen Meinung nach etwas angegriffen aus. Ob die so gesund sind wie ihre hübsch aussehenden Früchte? Deren cha-rakteristische Kegelform kennen wir von den grünen Eukalyptus-Kaubonbons, die wir so gerne bei Husten, Schnupfen, Heiserkeit  lutschen.

Am frühen Nachmittag, während wir auf dem hübsch angelegten Picknickplatz bei der Brücke über den Rio Boente unser karges Pilgermahl verspeisen, beginnt es kräftig zu regnen. Dankbar erinnere ich mich, dass ich unsere Moped-Ponchos im Rucksack habe – sonnengelb, nicht gerade schick und nicht unbedingt das angesagte Outfit für Jakobspilger (die tragen fast bodenlange, meist olivfarbene Regenponchos), aber sie halten den Regen ab. Das Traumgewand wird gekrönt durch unseren edlen Pilgerschlapphut. Fertig. Jetzt kann mir der Regen gar nichts mehr.

Günther ist zu eitel, soll er doch nass werden. Nach 10 Minuten lässt der Regen etwas nach, und der Mann an meiner Seite, der mir sonst stets predigt, dass es nicht aufs Aussehen, sondern auf die Praktikabilität ankomme, meint, ich solle meinen Poncho doch jetzt lieber wieder ausziehen. Wieso, frage ich, es fängt doch gleich womöglich wieder mehr an zu regnen. Seine Antwort ist schlicht – Cojak würde sagen -  entzückend:

Du siehst aus wie die gelbe Tonne.

In Peroxe gibt es einen Brunnen, der laut seiner Inschrift zum Xokobeo 99, also anlässlich des Heiligen Jahres, errichtet wurde.

Wenn man die Straße am Brunnen überquert, geht man bereits auf die Pfarrkirche von Boente, dem nächsten Ort, zu. Hoffnungsvoll nähern wir uns der Santiago-Kirche. Sie scheint geöffnet zu sein…

Doch auch hier haben wir Pech. Es findet gerade ein Gottesdienst statt, und wir können nicht einfach dort hineinplatzen. Also wieder mal ein Satz mit X!

Immerhin gibt es neben der Kirche eine Stempelstelle, so dass wir uns ins dortige Pilgerbuch eintragen können und endlich einmal wieder einen Stempel von der örtlichen Kirche bekommen.

 

Auf Feldwegen und durch Eukalyptuswald geht unser Weg weiter nach Ribadiso, das wir nach der Überquerung des Rio Iso erreichen.

Hinter der Flussbrücke  liegt rechts des Weges die urige Albergue des Ortes, der wir einen Besuch abstatten. – Einerseits aus Neugierde, andererseits weil es dort natürlich auch einen Stempel gibt.

rechts:Wer im Schlafsaal mit Etagenbetten nicht mehr unterkommt, pennt eben auf dem Boden. Echt gemütlich, oder?

Der heutige Weg zieht sich, und die Füße sind dankbar, als wir in Arzúa, das als eine der wichtigen Stationen des Jakobsweges gilt, ankommen. Man vermutet, dass Arzúa der Ort ist, der im Pilgerführer des Liber sanct Iacobi als Villanova bezeichnet wird, denn es besitzt ebenfalls zwei romanische Kirchen.

Darüber hinaus gibt es dort noch die Ruinen eines Klosters aus dem 14. Jahrhundert, das der Heiligen Magdalena geweiht war und in dem eine Gemeinschaft von Augustinermönchen ein Pilgerhospital leitete.

In einem unserer Reiseführer steht: „In Arzúa gibt es nicht viel zu sehen, was zur Abwechslung auch einmal recht angenehm ist.“ – Stimmt.

Mit dem in Arzúa geparkten Roller geht’s dann wieder zurück nach Melide zu unserem Womo. Wir machen den Pilgerweg wirklich viermal - zweimal mit dem Wohnmobil, einmal mit dem Roller und einmal zu Fuß. In Arca stellen wir unseren Fury wieder am Straßenrand ab, damit er uns bei der morgigen Wanderung wieder heimbringt.

Heute fahren wir gleich nach Santiago de Compostela auf den Campingplatz As Cancelas, der fast im Zentrum liegt, denn wir befürchten, dass wir bei einer späteren Ankunft mit unserem großen Womo dort nicht mehr unterkommen. Morgen ist das große Feuerwerk vor der Kathedrale, das sicher auch viele spanische Camper anlocken wird. Bei unserer Ankunft am frühen Abend ist es dort tatsächlich schon ziemlich voll, und wir sind froh, auf der obersten Terrasse noch einen ausreichend großen Platz für unser Womo zu bekommen. Die Auffahrt ist sehr steil und eng, aber für meinen Truckchef natürlich kein Problem.

Campingplatz Camping As Cancelas
Adresse Rua do 25 de Xullo, 35
Ort Santiago de Compostela
Telefon 981580266 – 580476
email info@campingascancelas.com
Öffnung: ganzjährig
Anfahrt

An der N550 Nordseite Santiago (Rep-sol-Tankstelle) Abfahrt 67 und danach ins Zentrum (Casto Historica). CP ist ausgeschildert.

Unsere bewährte Pilgerlogistik werden wir jetzt allerdings verändern. Um 8 Uhr fährt ein Bus von Santiago Richtung Lugo, mit dem wir bis Arzúa fahren werden, von wo wir weiterpilgern nach Arca. Der Busbahnhof ist in ca. 20 Minuten vom Campingplatz per Pedes zu erreichen. Das heißt mal wieder: Früh aufstehen!

In der Nacht stürmt es, und der Regen trommelt laut auf unser Womodach. Das kann ja morgen heiter werden, denke ich. Aber wir sind Pilger, da müssen wir durch.

Montag, 23. Juli 2007

Um 6 Uhr klingelt der Wecker mitten hinein in einen der vielen intensiven Träume, die ich in diesen Nächten hier habe. Draußen ist es duster wie im Grabe des Propheten, so dass man zum Wetter erst mal gar nichts sagen kann. Doch, da habe ich ein einzelnes Sternchen zu mir runter blinzeln sehen. Also hat die Wolkendecke Löcher…

Und tatsächlich, als es hell wird, präsentiert sich der Himmel über uns in freundlichem Hellblau – zugegeben: mit Wolken durchsetzt. Aber immerhin kein Regen! Der Apostel meint es gut mit uns!

Um 7.20 Uhr sind wir unterwegs zur Estacione des Autobuses. Bei der Information dort erfahren wir, dass der Bus nach Lugo erst um 9.15 Uhr abfährt! Ja, isses denn die Möchlichkeit! Wir hätten eine Stunde länger schlafen können. Die Tussi in der Campingrezeption, die uns die falsche Auskunft gegeben hat, ist definitiv bei den Jakobspilgern in Ungnade gefallen. Schicksalsergeben setzen wir uns in der Bahnhofshalle nieder und warten darauf, dass die Stunde vergeht, die wir eigentlich länger im warmen Bett zugebracht hätten.

Der Bus bringt uns dann in einer guten Dreiviertelstunde nach Arzúa, wo der Pilgerweg ganz in der Nähe der Haltestelle weitergeht. 19 Kilometer müssen - nein, dürfen wir heute wandern zu Ehren des Apostels, der sicher in Santiago schon ungeduldig auf uns wartet.

Wanderbeschreibung Karte Von Arzúa nach Pedrouzo (Arca)

Die heutige Wanderung ist wieder landschaftlich sehr schön. Wir pilgern durch eine ländlich beschauliche Gegend, das Wetter ist schön, die Füße sind okay – Pilgerherz, was willst du mehr? Doch, eins stört uns sehr. Fast alle Kirchen sind nach wie vor geschlossen. Wir hätten so gerne hin und wieder mal eins dieser Kirchlein betreten, die so viel strenge Würde ausstrahlen und stille Einkehr versprechen. Viele kleine Bachläufe werden überquert oder begleiten unseren Weg, plätschern leise und blitzen in der Sonne. Vögel zwitschern im Wald, Hähne krähen in den malerischen Dörfchen - und die Spanier, die zuhauf unterwegs sind, quatschen wie die Weltmeister. Mir fällt ein, dass Hape Kerkeling auf seiner Pilgerwanderung  so viele Schmetterlinge gesehen hat – wo sind die geblieben? Wir sehen nur gelegentlich welche.

 

Auf unserem Camino gibt es mehr Kühe als Schmetterlinge

 

Pilgerdenkmal mal anders

oben: Gedenktafeln für Pilger, die während der Wanderung starben

 

Gedenktafeln für verstorbene Pilger sieht man am Camino häufig. Die Pilger sind meist entweder an Herzversagen oder Schwäche gestorben oder haben schwere Unfälle mit Todesfolge erlitten

Noch 24 Kilometer bis Santiago

Vor Pedrouzo kommt „Will“ uns entgegen – die Täuschung ist auch dieses Mal perfekt, weil wir ja nicht vorgewarnt sind auf ein Treffen mit dem Will-Double. Das deutsche Pärchen geht auf der Suche nach einem Nachtquartier den Weg wieder zurück – alle Herbergen am Weg sind überfüllt (auch die in Santa Irene, siehe Foto links). Ojeh, darauf hätte ich ja jetzt überhaupt keinen Bock.

Alle Herbergen voll, und es regnet Bindfäden - wie gut, dass wir unseren Hiram haben...

Als wir Pedrouzo (Gemeinde Arca) erreichen, beginnt es zu regnen (hoffentlich haben die beiden inzwischen ein Dach über dem Kopf!). Obendrein stellen wir fest, dass wir unseren Roller ziemlich ungünstig geparkt haben, denn wir müssen durch das ganze Nest hindurch latschen, was nicht sehr erbaulich ist, denn Pedrouzo ist ein trübseliger Ort – finde ich jedenfalls. Er wird auch weiter nicht in den Reiseführern erwähnt.

Der Himmel hat sich während unserer nicht ganz freiwilligen Ortsbesichtigung  dramatisch verfinstert. Da kommt was auf uns zu, denke ich, und schon geht’s los. Es schüttet wie aus Eimern. Wind und Regen peitschen uns ins Gesicht. Wir können kaum noch etwas sehen. Als wir den Campingplatz erreicht haben, sind wir patschnass und ziemlich erleichtert, „daheim“ angekommen zu sein.

Dienstag, 24. Juli 2007

Unser letzter Tag als Jakobspilger!

Zum Glück wissen wir nun, dass der Bus erst um 9.15 Uhr abfährt, und wir können tatsächlich bis 7 Uhr schlafen!

Im Bus lernen wir eine 4-köpfige Familie aus Deutschland kennen, die gerade nach Sarrià unterwegs sind, um auf Pilgerschaft zu gehen. Die ca. 14-jährige Tochter, mit MP3-Player und Ohrhörern versehen, schaut muffelnd vor sich hin, der vermutlich 2 Jahre jüngere Bruder sieht eher gleichmütig aus. Auf meine erstaunte Frage, ob die Kinder die Wanderung denn ohne Murren mitmachen würden, wirft die Mutter nur einen kurzen Blick auf ihre Tochter, hebt eine Augenbraue und antwortet in einem Kurzsatz: Zum Teil. Ich muss grinsen. Pubertierende Kinder sind halt anstrengend. Kann man nur hoffen, dass die Tochter in den Albergues nette Jungs kennen lernt. Dann wird sie umgehend zum glühenden Fan des Jakobsweges werden. So sinse, die Pänz…

In Arca finden wir die gelben Pfeile, die zur Zeit unsere Welt bedeuten, nicht sofort und laufen erst einige hundert Meter neben dem Jakobsweg entlang, bis wir wieder auf dem Pfad der Tugend oder des Schweißes oder des Fleißes oder – am besten – der Erkenntnis sind.

Wegbeschreibung Karte Von Pedrouzo (Arca) nach Santiago de Compostela

Diese letzte Etappe des Jakobsweges wird auch der Ungeduldige Camino genannt, weil man es kaum erwarten kann, in Santiago anzukommen. In Labacolla, wo sich heute ein Flughafen breit macht, bereiteten sich im Mittelalter die Pilger auf ihr langersehntes Zusammentreffen mit dem Heiligen Jakob vor. Sie entledigten sich all ihrer vermutlich nicht mehr sehr ansehnlichen Kleider und wuschen im Fluss den Schmutz von ihren geplagten Pilgerkörpern ab. Die Zunft der Schneider hatte sicher hier gut zu tun, denn keiner wollte natürlich in abgerissenen Klamotten vor dem Apostel Jakob erscheinen. Wie man in manchen Beschreibungen liest, verdiente auch das waagerechte Gewerbe in den Orten vor Santiago de Compostela nicht schlecht und zog manchem Pilger das letzte bisschen Geld, das ihm noch geblieben war, aus der Tasche. Vielleicht wuschen die Burschen sich auch darum so ausgiebig, schießt es mir misstrauisch durch den Kopf. Mein Misstrauen wächst, als ich lese, dass das galizische Wort „laba“ - wie ich vermutete - „waschen“ heißt, und „colla“ – was ich gar nicht zu vermuten wagte – „Penis“. Aha!!!  Möchte man eigentlich in einem Ort wohnen, der so heißt?

Anfangs wandert man auf dem Camino zwischen Pedrouzo und Santiago noch gemütlich hügelauf, hügelab durch ländliche Idyllen, bis man an den Rand der großen Stadt Santiago kommt. Hier geht es auf einem asphaltierten Sträßchen weiter.

Man passiert die Gebäude von zwei spanischen Fernsehanstalten. Direkt gegenüber der ersten liegt der Campingplatz San Marcos, und wen sehen wir dort stehen? Die Wohnmobilisten aus Unna bzw. ihr Womo – nebst SAT-Antenne J. Die Insassen scheinen unterwegs zu sein. Ob sie auch noch brav auf Pilgerschaft sind? Wir haben sie leider bei den letzten Etappen nicht mehr getroffen. Der Campingplatz ist ein flaches Wiesengelände mit einigen Bäumen. Uns gefällt As Cancelas besser, weil der Platz so hübsch angelegt ist, Aussicht auf die Stadt bietet und sehr zentral liegt. Das scheinen auch andere Camper so zu werten, denn der Platz in San Marcos zeichnet sich vor allem durch gähnende Leere aus

San Marcos ist ein altes Dorf, in dem man zum Besuch Papst Johannes Pauls II. im Jahre 1989 einen riesigen Pilgerkomplex baute, an dem wir wenig später vorüber wandern. Hier liegt auch ein weiterer Campingplatz: Camping Monte do Gozo, von dem man aber von der Straße aus wenig sieht.

Der Monte do Gozo ist die letzte Anhöhe, die der Pilger vor Santiago bewältigen muss und ist darum auch ein Berg der Freude, wie die Übersetzung des galizischen Namens lautet. Von hier aus sahen die Pilger in früheren Jahrhunderten zum ersten Mal die Türme der Kathedrale von Santiago de Compostela. Hier flossen wohl auch viele Tränen – Freudentränen natürlich. Heute hat man von hier oben zwar immer noch eine schöne Aussicht, aber die Türme der Kathedrale kann man in dem Häusermeer nicht mehr sehen. – Jetzt kann ich verstehen, warum der Kölner Dom nicht von großen Hotels zugebaut werden darf, wenn er weiter zum Weltkulturerbe gehören soll.

Hoch über Santiago steht auf dem Monte do Gozo auch ein monumentales Papst-Denkmal, über dessen Ästhetik man streiten kann.

Dort steht auch die kleine St. Markus-Kapelle, die endlich einmal geöffnet ist. Wenigstens zum Schluss unserer Pilgerschaft können wir noch einmal einen Stempel von einem Kirchlein in unseren Pilgerpass setzen. An der Kapelle ist ein letzter Pilgertreffpunkt vor Santiago. Und so bleibt es nicht aus, dass auch wir auf „alte“ Bekannte stoßen: Die beiden netten jungen Leute, die uns immer wieder über den Weg laufen. Sie mussten gestern Abend noch 6 km bis Lavacolla laufen, um ein Quartier zu finden. Die beiden kommen übrigens aus dem Schwarzwald, heißen Gabriele – auch so ein Engel wie ich J, und Markus. Wir haben ihnen unsere Internetadresse genannt. Vielleicht schreiben sie uns ja mal ins Gästebuch.

Vom Monte do Gozo ist es dann nicht mehr weit bis in die wenig ansehnlichen Vororte von Santiago. Schließlich gelangt man an ein modernes, gewaltiges Pilgertor, und nach einigen hundert Metern erreicht man schließlich die Altstadt von Santiago mit ihren malerischen Gassen. Gelbe Pfeile sehen wir dann nur noch selten und orientieren uns darum auf dem Stadtplan.

 

links: Pilgertor rechts: bald sind wir am Ziel: noch 1,3 km!

Als wir uns endlich vor der Kathedrale befinden (bzw. hinter ihr, denn man kommt an der Rückseite an), ist das schon ein erhebender Augenblick für uns Jakobspilger. Verglichen mit vielen anderen sind wir zwar nur „Schmalspur-Pilger“, aber immerhin haben auch wir 120 Kilometer unter den Wanderschuhen und sind ein bisschen stolz auf uns.

Auf dem Plätzchen hinter der Kathedrale ist eine wunderbare Atmosphäre. Ein Straßenmusiker spielt klassische Gitarrenmusik, Pilger mit schweren Rucksäcken sitzen auf steinernen Bänken oder gehen zielgerichtet (via Pilgerbüro vermutlich) an uns vorüber, Touristen flanieren oder plauschen miteinander, geschäftige Santiagonesen (oder wie nennt man die Einwohner von Santiago?) eilen vorüber. Wir halten uns aber hier nicht lange auf, denn wir wollen nun unsere Compostela haben, die Urkunde, dass wir auf dem Camino de Santiago gepilgert sind.

Nach einigen Irrungen finden wir das Pilgerbüro (wir hätten eigentlich nur rechts von der Rückseite der Kathedrale die Straße hinuntergehen müssen) und haben wider Erwarten Glück: Es ist nur eine kleine Schar von Pilgern vor uns, die vor den Schaltern des Büros in geduldiger Schlange ansteht. Als wir an der Reihe sind, werden wir zu einem netten Herrn gewunken, vor dessen Schreibtisch sogar zwei Stühle stehen, auf denen wir Platz nehmen dürfen, während er unsere Pilgerpässe überprüft. Wir werden mit Handschlag begrüßt, nach unseren Namen und dem Einstiegsort in die Pilgerwanderung gefragt. Perfetto, sagt der nette Mann, als er „Sarrià“ hört. Dann überprüft er alle unsere Stempel und sieht zufrieden aus. Er drückt einen weiteren Stempel in unseren Pass und erklärt uns, dass dieser besagt, dass wir ordentliche Pilger sind, die der Compostela würdig sind. Na bitte! Bevor er unsere Urkunden ausfüllt, schaut er noch in einem Büchlein nach, wie unsere Vornamen auf Lateinisch lauten. Bei mir ist es einfach: Gabriela. Aber bei Günther? Wir staunen beide nicht schlecht, dass man sogar den guten Jünni in Lateinisch benennen kann. Gontheram. Nicht zu fassen, womöglich gibt es den sogar in heilig! Günther hat immer behauptet, seine christkatholischen Eltern hätten ihm einen heidnischen Namen verpasst.

 Nachdem die Urkunden ordentlich ausgestellt sind, gratuliert der freundliche Herr uns mit Händedruck und wünscht uns eine gute Weiterreise. Stolz ziehen wir mit unserer Compostela vondannen.

Als nächstes wollen wir uns natürlich das Ziel unserer Pilgerreise ansehen: die Kathedrale von Santiago de Compostela mit dem Grab des Apostels Jakobus. Auf dem Weg dort hin bewundern wir auf der Plaza de las Platerias (Foto unten) die Fuente de los Caballos, den Brunnen im Zentrum des Platzes, die Casa del Cabildo aus dem 18. Jahrhundert und die Casa de los Canónigos, Conga genannt, ein Palast der ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert stammt.

Südfassade der Kathedrale mit dem romanischen Südportal (Puerta de las Platerías),
das als einziges Portal in der ursprünglichen Gestalt erhalten blieb

Der Platz vor der Kathedrale, die Plaza de Obradoiro gehört zu den beliebtesten spanischen Plätzen überhaupt. Auf diesem riesigen Platz befindet sich der Convento de San Francisco aus dem 13. Jahrhundert, der von Franz von Assisi während seiner Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela gegründet wurde.

Am nördlichen Teil der Plaza liegt das Hospital Real, das 1489 von den Reyes Católicos gegründet wurde. Er beherbergt heute das elegante Parador Hotel. Der Palacio de Gelmírez aus dem 12. Jahrhundert ist typisch für die zivile Architektur der Romanik.

 

Auf westlicher Seite liegt der neoklassizistische Palacio de Rajoy (Foto unten), der im Jahre 1777 konstruiert wurde und in dem sich heute das Rathaus und die lokale Regierung Galiziens befinden. Das mit Abstand schönste Monument des Platzes ist jedoch das Institut für galizische Studien, in welchem zuvor das Colegio de San Jerónimo untergebracht war.

Und dann wenden wir uns der Kathedrale zu, die das Endziel unserer Pilgerreise ist. Da heute Abend das große Feuerwerk stattfinden wird, ist die große Freitreppe bereits wegen einiger Aufbauten gesperrt, so dass wir durch einen Seiteneingang die Kirche betreten. Ich bin verwundert, wie dunkel sie wirkt, weil ich sie mir Licht durchflutet vorgestellt hatte. Aber gerade wegen der dunklen Atmosphäre wirkt der über und über mit Gold geschmückte Altar als einziger Lichtpunkt in der Kathedrale besonders dramatisch. Zugegeben: Ich finde ihn etwas kitschig mit den riesigen goldenen Engeln, die ihn rechts und links flankieren. Auch die Figur des Heiligen Jakobs scheint mir nicht unbedingt ein bemerkenswertes Kunstwerk zu sein. Aber das ist nur meine bescheidene Meinung. Irgendwie sind wir enttäuscht von dieser weltberühmten Kirche, auf die wir uns so gefreut hatten, und haben nun erst mal keine große Lust, sie noch weiter zu besichtigen. Das machen wir morgen nach der Messe. Auch dem Apostel Jakobus, so er dort überhaupt dort in Form seiner Gebeine vertreten ist, werden wir dann unsere Aufwartung machen.

Wir wollen nun nur noch etwas essen und dann zurück zum Campingplatz -  Füße hochlegen und relaxen, bevor wir heute Abend zum Feuerwerk auf der Plaza de Obradeiro aufbrechen. Auf dem Platz hinter der Kathedrale finden wir eine Crêperie, wo wir eine leckere Crêpe verspeisen und uns in den Pilgerführer vertiefen, um mehr über Santiago de Compostela zu erfahren.

Santiago de Compostela war die ehemalige Hauptstadt des Königreichs Galicien und ist als Endpunkt des Jakobsweges seit dem 9. Jahrhundert ein viel besuchter Wallfahrtsort. Er verdankt seine Bedeutung einer Legende:

Der Heilige Jakob bekehrte in dieser Region Spaniens die Menschen zum Christentum. 44 kehrte er nach Palästina zurück und wurde dort von Herodes Agrippa nach langer Folter getötet.

Nachdem der Eremit Pelayo in einem Wald die Erscheinung von hellem Licht und Gesängen hatte, erhielt dieser Ort den Namen Campus Stellae (Feld des Sternes), was später zu Compostela wurde. Nach Ausgrabungen im Jahre 813, veranlasst durch den Bischof Teodomiro, wurden genau an diesem Ort seine Überreste gefunden, dem Standort der heutigen Kathedrale. Seither ist die Kathedrale von Santiago de Compostela ein beliebter Pilgerort. Ab dem 12./13. Jahrhundert bestimmte Papst Calixto II., dass jenen Pilgern, die Santiago de Compostela in einem Heiligen Jahr besuchen, (der Tag, an dem der Namenstag des Apostels, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt), alle Sünden erlassen würden.

Neben Jerusalem und Rom wurde auch Santiago de Compostela zur Heiligen Stadt ernannt. Darüber hinaus wurde die Stadt im Jahre 1985 zum Weltkulturerbe erklärt. 2000 war Santiago de Compostela Kulturhauptstadt. Jährlich kommen rund 80.000 Pilger zu Besuch.

Santiago verfügt über ein gut erhaltenes Stadtbild mit engen Gassen, schönen Plätzen und arkadengesäumten Straßen aus der Renaissance und aus dem Barock. Im Mittelpunkt liegt die von historischen und repräsentativen Gebäuden gesäumte, majestätische Plaza de Obradoiro, die als Treffpunkt für ankommende Pilger gilt. Der bedeutendste unter den zahlreichen Profan- und Sakralbauten der Stadt ist die romanische Kathedrale (ab 1075), die 1128 eingeweiht wurde und die das Grabmal des heiligen Jakobus birgt. Trotz mehrfacher Umgestaltung des Äußeren konnte ihr frühromanischer Kern bewahrt werden. Weitere Sehenswürdigkeiten sind der Palacio de Gelmirez (12./13. Jahrhundert), das ehemalige Pilgerhospital Hostal de los Reyes Católicos (1489), das Rathaus Pazo de Raxoi (1777) und das Benediktinerkloster San Martín Pinario mit seiner imposanten Barockkirche. Die Altstadt wurde von der UNESCO 1985 zum Weltkulturerbe erklärt.

Nachdem wir Geist und Körper ausreichend mit Nahrung versehen haben, sind wir bereit für den „Heimweg“. Unterwegs treffen wir die beiden Berliner, die lange in Endenich gewohnt haben. Ah, da kommt der Mann aus Poppelsdorf, ruft der Mann, als er Günther sieht. Kleiner Plausch unter Pilgern, Abmarsch. Einige Sehenswürdigkeiten liegen allerdings noch an unserem Weg durch die Altstadt von Santiago und haben durchaus unsere Beachtung verdient.

San Frutuoso



Capilla de las Ánimas

Santa Maria do Camiño

Am Rand der Altstadt nehmen wir uns ein Taxi, mit dem wir den Rest des Weges zum Campingplatz zurücklegen. Das haben wir uns verdient, wir sind heute genug gelaufen, und ab jetzt ist es ja kein Schummeln mehr.

Am Abend sitzen wir fast bis neun Uhr in der Sonne und genießen die Ruhe auf dem Platz. Die italienische Womogruppe, die sich mit ihren Fahrzeugen rund um uns versammelt hat, ist gegen 5 unter lautem Geschnattere abgezogen. Ich liebe euch Italiener wirklich, aber ihr könnt einem schon auf den Geist gehen mit eurem Lärm.

Um neun satteln wir dann unseren Roller und fahren ins Centro Historico von Santiago. In der Nähe der Kathedrale parken wir unseren Fury und spazieren zur Plaza de Obradoiro, die bereits voller Menschen ist. Wir finden ein gutes Aussichtsplätzchen, klappen unsere mitgebrachten Hocker auf und genießen die Atmosphäre des lauen Sommerabends bei einem Gläschen Rotwein, den wir natürlich auch dabei haben. Vor uns liegt die herrliche Kathedrale im Abendsonnenschein, und um uns herum schwadronieren Tausende von Menschen in den unterschiedlichsten Sprachen der Welt. Es ist beeindruckend und erinnert uns ein wenig an die Papstaudienz auf dem Petersplatz, die wir vor zwei Jahren miterlebten.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie jemand von hinten auf Günthers dicken Haarschopf zeigt, und höre jemanden sagen: Da ist ein Tier auf ihrem Kopf. Tatsächlich sitzt da irgendein Flugobjekt in Günthers Haaren. Nichts Gefährliches, aber ein guter Grund, mit dem sympathischen älteren Herrn, der hinter uns steht, ein Gespräch zu beginnen. Er fragt, woher wir kommen, und wir antworten bereitwillig: Aus Bad Honnef am Rhein, das ist südlich von Bonn – da, wo Adenauer gelebt hat (Leuten in seinem Alter sagt das zum Glück ja noch etwas), - Und ich wohne gegenüber, entgegnet er. Wie – gegenüber? Na, in Lannesdorf, entgegnet er. Das ist in der Tat nur ein Katzensprung von uns entfernt. Der nette Mann ist sozusagen ein Jakobsweg-Veteran, ist ihn schon zweimal gepilgert und den Camino del Norte noch dazu. Wir sind tief beeindruckt, denn er erzählt uns, dass heute sein 72. Geburtstag ist. Super, und da bekommt er so ein Feuerwerk zum Geburtstag, denke ich. Er weiß unglaublich viel zu berichten von seinen Pilgerwanderungen, und wir hören ihm gebannt zu.

Dieses wunderbare Gespräch verkürzt uns allen die Wartezeit bis zum Beginn des Feuerwerks, dessen Startböller erst um 23.30 Uhr ertönt. Inzwischen stehen die Menschen auf dem Platz Kopf an Kopf. In dem wunderschönen Hotel …., das links von der Kathedrale steht, sitzen die teuer gekleideten Gäste an edelst gedeckten Tischen und speisen. Vermutlich zu astronomischen Preisen. Möchten wir mit ihnen tauschen? Im Leben nicht!

Das Feuerwerk übertrifft die kühnsten Erwartungen, es ist unglaublich schön. Lichteffekte auf der Kathedrale (die Jakobsmuschel, ein Blätterwald, Fassaden anderer Kathedralen dieser Welt – z.B. von der in Siena, Schriftzüge, die über die Fassade wandern, oder die Fassade der Kathedrale selbst in einer Art Skizze), Feuerwerk und Musik harmonieren so gekonnt, es ist ein atemberaubendes Meisterwerk.

Tief beeindruckt warten wir nach dem Feuerwerk noch mit dem älteren Herrn, bis sich die Menschenmassen etwas verlaufen haben, tauschen Namen und Adressen aus und gehen anschließend noch ein paar Schritte gemeinsam bis zum Priesterseminar, wo er wohnt. Er geht sehr mühsam, und unser Respekt vor seiner Pilgerwanderung wächst noch mehr. Was muss das für eine Strapaze für ihn gewesen sein! Wir verabschieden uns herzlich, und ich verspreche, ihm meine Fotos vom Feuerwerk auf CD zu schicken.

Nach einem Bummel durch die malerischen Gassen und Straßen der Altstadt, die voller feiernder Menschen sind, fahren wir mit unserem Roller zum Campingplatz zurück.

Mittwoch, 25. Juli 2007

Der Namenstag des Heiligen Jakobs! Heute müssen wir wieder früh aufstehen, denn wir wollen für die um 10 stattfindende Festmesse einen guten Platz in der Kathedrale ergattern. Da wir uns mit dem Frühstück etwas zu viel Zeit gelassen haben, beschließen wir, mit dem Taxi in die Altstadt zu fahren. Das war eine weise Entscheidung, denn als der Taxifahrer in die Straßen der Altstadt einbiegt, laufen dort bereits große Gruppen von Menschen Richtung Kathedrale. Das Taxi setzt uns direkt vor der Kathedrale ab, und so sind wir richtig gut in der Zeit und finden einen hervorragenden Sitzplatz im Seitenschiff, relativ weit vorne am Altar. Uns gegenüber ist die Kamera des spanischen Fernsehens aufgebaut.

Neben mir sitzt eine nette Engländerin aus Norfolk, mit der ich während der Wartezeit ins Gespräch komme. Sie ist 62 und mit ihrem noch älteren Mann auch den gesamten Camino gepilgert. Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Leute in unserem gesetzten Alter J auf dem Jakobsweg pilgern.

Die Festmesse beginnt mit dumpfen Schlägen und viel zu leisem Chorgesang. Die Lautsprecheranlage scheint defekt zu sein. Ich mach’s kurz – die Messe ist im ganzen enttäuschend, ohne Leidenschaft - könnte ein evangelischer Gottesdienst sein. Ein Funke springt bei uns jedenfalls nicht über. Schade. Lange Ansprache der spanischen Parlamentspräsidentin, die als Vertreterin des Königs da ist, ebenso lange Predigt des Erzbischofs, der seine Ansprache  ohne jegliche Modulation seiner Stimme vom Blatt abliest… Meine Nachbarin flüstert mir ins Ohr:

The secret is to keep these speeches short. They should know that the people have waited here for hours.

Recht hat sie, man wird müde beim Zuhören, zumal man kein Wort versteht, wenn man des Spanischen nicht mächtig ist. Mir fällt ein, dass man für die vielen Pilger und Touristen aus aller Welt doch den Wortlaut der Reden in Englisch über die aufgebauten Großbildschirme des spanischen Fernsehens laufen lassen könnte.

Einzug der Gladiatoren

 

Spanische Parlamentspräsidentin und Erzbischof bei ihren endlosen Ansprachen

Das einzige wirkliche Highlight ist für uns dann das riesige silberne Weihrauchgefäß - mit dem eindrucksvollen spanischen Namen Botufumeiro, das zum Schlusssegen von 7 Mönchen mittels eines dicken Seils über unseren Köpfen geschwenkt wird. Na, das hat doch was, das ist wieder echt katholisch. Bin schon wieder froh, dass ich nicht evangelisch bin.

Nach der Messe ziehen wir gemeinsam mit vielen anderen Gläubigen oder auch nur Interessierten vorüber an dem Schrein, in dem die Gebeine des Apostels Jakobus liegen sollen. Den Mantel der Jakobus-Figur über dem Altar wollen wir aber nicht berühren, obwohl die Schlange der hier anstehenden Menschen unglaublich lang ist, was für die Beliebtheit dieser Aktion spricht. Aber - wir glauben nun mal nicht an die wundersame Wirksamkeit solcher Riten, also lassen wir’s auch.

Die Puerta del Perdon (hinter dem Schrein) wir nur im Heiligen Jahr (wenn das Jakobsfest auf einen Sonntag fällt) geöffnet.

Die Kathedrale von Santiago de Compostela steht über einer Grabstätte, die dem Apostel Jakobus zugeschrieben wird. Ihre Errichtung begann im Jahr 1077 unter der Herrschaft von Alfons VI. über den Resten einer ältereren Kirche aus dem 8. Jahrhundert. Sie ist seit 1120 Sitz des ersten Erzbischofs des Erzbistum Santiago de Compostela Diego Gelmírez. Heute ist nur noch das romanische Südportal (Puerta de las Platerías) in der ursprünglichen Gestalt erhalten. Die zahlreichen Erweiterungen der Kathedrale führen mit dem barocken Westportal, der neoklassizistischen Nordfassade und den gotischen Kreuzgängen im Inneren mehrere Baustile zusammen. Die Grundfläche wurde dabei von ehemals 8.200 m2 auf 23.000 m2 erweitert.

Im Eingang des Westportals (Fachada del Obradoiro) befindet sich das Pórtico de la Gloria des Baumeisters Mateo aus dem Jahr 1188, das als ein architektonisches Meisterwerk gilt.

Das Botafumeiro ist ein etwa 1,60 m großes Weihrauchfass, das an einem etwa 30 m langen Seil von der Decke hängt und gelegentlich nach dem Hochamt von mindestens acht Männern in Bewegung gesetzt und bis hoch unter die Decke geschwungen wird. Es wird vermutet, dass dieses besonders große Weihrauchgefäß dazu diente, die Ausdünstungen der Pilger zu übertünchen, die nach Abschluss ihrer Wanderung auf dem Jakobsweg eine ganze Nacht wachend und betend in der Kathedrale verbrachten.

Den Altar schmückt ein vergoldeter Baldachin. Darunter befindet sich die Gruft mit einem silbernen Schrein, der die Reliquien enthält, unter anderem ein auf das Jahr 874 datiertes goldenes Kruzifix, das einen Splitter des Kreuzes Christi beinhalten soll.

Durch die bischöfliche und päpstliche Anerkennung der aufgefundenen Gebeine als Reliquien Jakobi, gilt die Kathedrale von Santiago als Grabeskirche des Apostels Jakobus. Die armenische Jakobskathedrale in Jerusalem beansprucht aber im Besitz des Schädels des Apostels zu sein.

Blick ins Mittelschiff

Kuppel mit Befestigung des Weihrauchgefäßes

Botufumeiro -
das weltberühmte Weihrauchgefäß, das wir heute in Aktion erlebt haben

Die Kathedrale hat sich schon wieder gefüllt -
gleich beginnt die Pilgermesse

links: Portico de la Gloria rechts: Puerta Santa von außen

Jakobus der Maurentöter

Freitreppe - heute zum Glück tatsächlich wieder frei

Nachdem wir die Kathedrale besichtigt haben, nehmen wir uns wieder ein Taxi, das uns zum Campingplatz zurückbringt. Unsere Fahrt geht heute weiter zum Ende der Welt – Finisterre.

Eigentlich wollen wir noch die Kirche Santa Maria Maria la Real de Sar (1137 erbaut) im Süden Santiagos besichtigen, deren Besonderheit die erheblich geneigten Pfeiler und Mauern sind, bei deren Anblick es manchem Besucher mulmig werden soll. Vermutlich war das Gewicht des Gebäudes für den sandigen Untergrund zu groß. Im 18. Jahrhundert wurden darum gewaltige Stützpfeiler eingebaut. Das hätte meinen Baumeister interessiert, aber als wir im Süden der Stadt ankommen, ist es bereits 13 Uhr, und – na, was sonst? – die Kirche ist von 13 – 16 Uhr geschlossen.

So kurven wir nun mitten durch Santiago zurück auf die Straße, die nach Finisterre führt. Dabei geraten wir - unter die Räuber, hätte ich beinahe gesagt, in den Festtagstrubel der Santiagonesen. Reihen von Festzelten mit gedeckten Tischen, ein Jahrmarkt und Hunderte von chaotisch geparkten PKWs und mitten drin unser Hiram. Aber Günther als erfahrener Truckfahrer kommt wie der Phönix aus der Asche sicher wieder aus dem Getümmel hervor.

Hügelauf, hügelab durch kleine Sträßchen – für Hiram und seinen Boss kein Problem

Letzter Blick auf die Türme der Kathedrale

Schnurgerade Richtung Westen ans Ende der Welt...

Unsere Fahrt nach Finisterre führt durch eine hüglige Landschaft, die geprägt ist von Eukalyptus- und Pinienwäldern. Die Eukalyptusbäume sehen auch hier teilweise sehr spärlich und krank aus. Es würde mich interessieren, woran das liegt. Am Nachmittag erreichen wir in Corcubión, einem hübschen Hafenstädtchen, das Meer.

Wenige Kilometer später rufe ich verzückt: Hast du den schönen Strand gesehen? Links von uns ist eine Badebucht mit Sandstrand und jadegrün schimmerndem Meer, das einen geradezu zum Reinhüpfen auffordert. Wir sind schon fast vorüber, da lese ich das Schild „Playa Estorde“ und aus den Augenwinkeln rechts von mir „Camping“. Da klingelt’s bei mir. Mensch, wir sind ja schon an dem Campingplatz, auf dem wir heute übernachten wollen.

Playa Estorde mit dem Campingplatz Ruta Finisterre

Campingplatz Camping Ruta Finisterre
Adresse Playa de Estorde
Ort 15270 CEE - A CORUÑA
Telefon 981746302
Homepage www.finisterrae.com
Öffnung: 15/06 - 15/09

 
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Der Platz Ruta Finisterre in Playa Estorde ist in Terrassen in einem Pinienwald angelegt und bietet eine herrliche Aussicht auf die Badebucht. Für unseren Hiram gibt es ein wunderschönes Plätzchen, und wir richten uns sofort dort ein. Tisch und Stühle raus, jetzt wird relaxt! Die Sonne scheint, unsere Füße tun nicht (mehr) weh, es geht uns gut!

Am Abend essen wir in der Campingkneipe eine leckere Tortilla und schwingen uns dann auf unseren Fury, um den Sonnenuntergang am Kap Finisterre, dem Ende der mittelalterlichen Welt, zu erleben.

Blick auf das Kap Finisterre

Als wir im Ort Finisterre (oder Fisterra) ankommen – nach einer herrlichen Fahrt entlang der Küste, will Günther mir erst den Hafen, dann das Castelo als Ende der Welt andrehen, und meint auf meinen entnervenden inständigen Widerspruch doch tatsächlich: Hier ist kein Kap! Nicht zu fassen, hat die ETA es vielleicht gerade eben weggebombt oder was? Ich muss lachen – wenn mein Gemahl mal was nicht direkt findet, wird er gleich sauer.

Doch nicht weggebombt: Das Kap Finisterre

Das Kap ist natürlich doch noch da, wie der Herr Gemahl wenig später, als wir auf die Kapspitze zufahren, zugeben muss. Wenn man dort steht und auf die unendliche Weite des – heute Abend stahlgrauen – Meeres schaut, kann man sich gut vorstellen, dass die Menschen im Mittelalter glaubten, hier sei das Ende der Welt. Mir fällt eine Zeile aus Theodor Storms Ballade „Trutz Blanke Hans“:

 Von Brasilien glänzt bis zu Norwegs Riffen

das Meer wie schlafender Stahl, der geschliffen.

Rechts vom Faro setzen wir uns in luftiger Höhe über dem Meer auf die mit Heidekraut bewachsenen Felsen und harren des Sonnenuntergangs, der sich heute jedoch vermutlich hinter Wolken abspielen wird. Geduldig sitzen wir dort auf unserem Hochsitz, bis nach halb zehn, ahnen nur, wo die Sonne ist, ahnen, dass sie jetzt bald untergehen wird, und werfen dann das Handtuch. Das wird heute nix. Es ist trotzdem schön und außerdem bekommen wir zwischendurch auf unserem „Hochsitz“ Besuch von zwei Pilgern und dürfen das feierliche Verbrennen eines Pilgerhuts und -stocks miterleben. Die tiefgründige Symbolik dieser Handlung ist ja sehr beeindruckend, aber leider nichts für uns. – Wir sind zu wenig gepilgert, brauchen unsere Wanderstöcke noch für die nächste (Pilger-????) Wanderung, und unsere neuen Wanderhüte sind sogar zum (öffentlichen) Verbrennen zu hässlich.


Hier geht's weiter mit der Rückreise:

Vom Ende der Welt entlang der Biscaya Richtung Osten zurück in unsere Welt